Handwerk unterwegs: Diese Orte sind grandiose Reiseziele für Handwerksbegeisterte
Handwerk ist deine Leidenschaft? Dann möchtest du vielleicht im Urlaub die Werke anderer genießen. Geniale diesbezügliche Ziele gibt es zuhauf. Sechs davon stellen wir dir hier vor.
Wenn du Handwerker bist, dann ist dein Beruf vielleicht gleichzeitig auch Berufung und echte Leidenschaft – weit mehr als nur ein reiner Brötchenerwerb. Sogar, wenn du in einem gänzlich anderen Metier arbeitest, üben Handwerk und seine Erzeugnisse vielleicht eine magische Anziehungskraft auf dich aus.
Egal, wie es bei dir im Detail aussieht: Wenn du auf Handwerk im kleinen und sogar großindustriellen Maßstab stehst, solltest du überlegen, es auch im Urlaub zu erleben. Nicht mit deinen eigenen Händen, sonst wäre es ja kein Urlaub. Vielmehr als staunender Beobachter und vielleicht weit über die Grenzen deines Gewerks hinaus. Sechs wirklich erlebenswerte Ziele haben wir dir dafür herausgesucht.
Das Husqvarna-Museum in Huskvarna, Schweden
Wenn du dich ein bisschen im Bereich Wald- und Gartenarbeit sowie Motorräder auskennst, dann dürfte Husqvarna dir ein Begriff sein. Falls du allerdings glaubst, dabei würde es sich nur um einen reinen Hersteller von Kettensägen, Rasenmähern, Freischneidern und ähnlichem Gerät handeln, liegst du völlig falsch. Das ist die heutige Husqvarna-Firma – wobei die Motorradsparte schon seit 2013 zu einem österreichischen Hersteller gehört.
Historisch betrachtet war das schwedische Unternehmen über Jahrhunderte das, was man heute einen Mischkonzern nennen würde – mit einer wahrhaft gigantischen Produktpalette. Angefangen hat das Unternehmen 1689 als Gewehrfabrik und blieb bis fast in die Gegenwart ein wichtiger Hersteller von zivilen und militärischen Schießeisen. Im Lauf der Zeit kamen jedoch alle möglichen anderen Produkte hinzu. Unter anderem
- Herde und Öfen,
- Nähmaschinen,
- zahlreiche Küchen- und Haushaltsgeräte, darunter eine der ersten Mikrowellen,
- Industriemaschinen,
- Kessel,
- Motoren,
- Fahrräder,
- Mopeds und Motorräder.
Dazu die bekannte Palette von Kettensägen, Rasenmähern und zahlreichen anderen Maschinen für Forst und Garten.
Es gibt nur wenige andere Firmen, die gleichzeitig eine so weit in die Vergangenheit zurückreichende Geschichte mit einer so umfangreichen Produktpalette kombinieren. Für dich zählt dabei eines: Unter der Adresse Hakarpsvägen 1, 56141 in Huskvarna findest du einen Ort, an dem Husqvarna dir die gesamte Palette dieses Schaffens präsentiert.
2.400 Quadratmeter, auf denen du nicht nur praktisch jedes jemals unter dem Namen gefertigte Produkt antriffst, sondern in fast ein halbes Jahrtausend Industrie- und Fertigungsgeschichte eintauchst. Definitiv ein Highlight unter den technischen Museen, selbst wenn du gar keinen Bezug zur Marke Husqvarna hast.
Die Klingenstadt Solingen in Deutschland
Sehr lange, bevor irgendjemand auf die Idee kam, auf seine Produkte „Made in Germany“ oder „Made in China“ zu schreiben, nämlich Ende der 1500er Jahre, erließ das nordöstlich von Köln herrschende Adelsgeschlecht von Berg die Anordnung, alle in seinem Einflussbereich gefertigten Schwerter, Dolche und Messer hätten folgende Aufschrift zu tragen:
ME FECIT SOLINGEN
Übersetzt bedeutet das „Mich schuf Solingen“ oder „Solingen schuf mich“. Der Spruch ging in die Weltgeschichte ein als der nach heutigem Wissensstand erstmals zu Werbezwecken genutzte Slogan, der sich mit der geographischen Herkunft eines Produkts befasste, um es von der Konkurrenz abzugrenzen.
Das ist aber nicht der Grund, warum wir dir davon erzählen. Es soll dir vielmehr einen Eindruck vermitteln, wie lange in der nordrhein-westfälischen Stadt und ihrer Umgebung schon Schneidwaren gefertigt werden. Was „scharfe Sachen“ anbelangt, ist Solingen nicht weniger als eine Institution von globalem Ruf, der zudem seit dem Mittelalter nahtlos anhält. Tatsächlich war Solingens Image sogar einer der Gründe dafür, warum die Briten Ende des 19. Jahrhunderts damit begannen, Deutschland-Importe mit „Made in Germany“ zu beschriften.
Damit ist eines klar: Schon, wenn du lediglich ein Fan von Handwerks- und Industriegeschichte bist, führt für dich kein Weg an Solingen vorbei. Sofern dein Herz zudem für Metall im Allgemeinen und Schneidwaren im Besonderen schlägt, ist die Stadt sogar kaum weniger als ein Wallfahrtsort.
Du musst dafür allerdings Zeit mitbringen, das ist kein Ziel für einen Tagesausflug:
- Es gibt im Stadtgebiet etwa 150 Schneidwarenhersteller. Viele davon bieten Betriebs- bzw. Werksbesichtigungen an, einige sogar Schmiede- und ähnliche Kurse.
- In Solingen besteht eine Zweigstelle des in mehreren Städten operierenden LVR-Industriemuseums (vergleiche zu dieser Institution den finalen Reisetipp in diesem Text). Jedoch ist nicht nur dessen Hauptgebäude samt Inhalt eine Attraktion, sondern im Stadtgebiet sind verschiedene Nebenstellen verteilt, in denen du einzelne Aspekte der Schneidwarenkultur noch besser erleben kannst.
- Ebenfalls in der Stadt befindet sich mit dem Deutschen Klingenmuseum eine der weltweit besten Dauerausstellungen rings um scharfe Werkzeuge – zum Leidwesen deines Geldbeutels sind im Museumsshop außerdem mehr als 20 Solinger Traditionsfirmen vertreten.
Und das sind nur die wichtigsten Stationen. Ein verlängertes Wochenende solltest du deshalb mindestens einplanen und angesichts der zigtausendfach angebotenen stählernen Kunstwerke genügend Reisebudget mitbringen.
Der Campus Galli in Meßkirch
Viele heute ausgeübte Handwerke haben sehr weit in die Vergangenheit zurückreichende Wurzeln. Unter anderem bei Zimmerleuten, Schreinern und Steinmetzen sogar bis in die Frühzeit des modernen Menschen. Doch selbst wenn in vielen Gewerken nach wie vor traditionelle Herangehensweisen zum Einsatz kommen, sind selbst solche Handwerke dennoch auf einem neuzeitlichen Level technisiert.
Du möchtest hautnah erleben, was Handwerk bedeutete, lange bevor die Industrialisierung begann, bevor Kolumbus seine Fahrten unternahm, ja sogar, bevor die Wikinger loszogen? Dann dürfte es innerhalb Deutschlands Grenzen keinen besseren Ort geben als Meßkirch, 20 Kilometer nördlich des Bodensees gelegen.
Denn die schwäbische Kleinstadt ist seit 2012 der Schauplatz eines der atemberaubendsten „Wow-Projekte“ in Sachen
- historische Architektur,
- experimentelle Archäologie und
- frühmittelalterliche Handwerks- bzw. Arbeitstechniken.
Verantwortlich dafür ist der Campus Galli – Karolingische Klosterstadt Meßkirch. Bei dem Projekt geht es um nicht weniger als einen maximal originalgetreuen Bau eines Klosterkomplexes, wie er zu Beginn des 9. Jahrhunderts konstruiert worden wäre – alles wissenschaftlich untermauert.
Die Basis dafür ist der aus dieser Zeit erhaltene sogenannte St. Galler Klosterplan. In dem auf Jahrzehnte angelegten Projekt soll das Kloster sowie alles andere, was dazugehört, so errichtet werden, wie man es im 9. Jahrhundert getan hätte. Das umfasst alle Baumaterialien, Werkzeuge, ja sogar die Kleidung der festangestellten und freiwilligen Mitarbeiter. Was nicht zu Beginn der 800er Jahre zur Verfügung stand, ist dort schlichtweg verpönt.
Ehrenwort: Realistischer kannst du nicht ins Frühmittelalter eintauchen. Zumal die Baustelle nach einem Dutzend Jahren schon weit fortgeschritten ist. Dadurch gibt es für dich dort eine Menge zu erleben. Da das Projekt umfassend medial begleitet wird, findest du online zudem jede Menge Material, um dir erste Eindrücke zu verschaffen.
Übrigens: Ein ähnliches Projekt läuft seit 1997 in Mittelfrankreich. Hier geht es darum, in vergleichbarer Herangehensweise eine Burg aus dem 13. Jahrhundert zu bauen.
Die Royal Delft Manufaktur & Museum
Bis weit ins 16. Jahrhundert hinein gab es in Europa auf Tisch und Wänden ausschließlich grobes Steinzeug. Feines Porzellan war ein Herstellungsgeheimnis, das nur die Chinesen beherrschten. Eine der wenigen europäischen Nationen, die diese kostbaren Erzeugnisse importierte, waren die Niederlande – sie hatten über ihre Ostindien-Kompanie beste Beziehungen nach Ostasien.
Doch wie so häufig, wenn ein Gut derart begehrt ist, entstand rasch der Wunsch, Vergleichbares zu produzieren. Das führt uns zur sogenannten Delfter Keramik. Die erste auf europäischem Boden gefertigte Keramik, die es mit den chinesischen Vorbildern in Sachen Qualität und Anmutung aufnehmen konnte. Dazu noch die Heimat von Delfter Blau, eines blau-weißen Porzellandekors auf Kacheln und Gebrauchsgegenständen.
Beides zusammen hat den Status eines niederländischen Nationalheiligtums. Viele Firmen produzierten solche Waren in der Vergangenheit. Zu den ältesten noch operierenden und berühmtesten davon gehört Royal Delft – eigentlich De Koninklijke Delftsche Aardewerkfabriek „De Porceleyne Fles Anno 1653“ N.V.
Du musst definitiv kein Fliesenleger oder Hobby-Töpfer sein, um hier ein atemberaubendes Reiseziel zu finden. Die natürlich in Delft residierende Firma ist gleichzeitig Manufaktur und Museum und deshalb mehr als gewillt, Besuchern Einblicke in ihre reichhaltige Geschichte und die kaum veränderten – weitgehend auf Handarbeit vertrauenden – Fertigungsmethoden zu geben.
Ähnlich wie das Husqvarna-Museum ein Besuchsziel, das du definitiv nicht links liegenlassen solltest, wenn du sowieso in der Gegend bist. Und wie im Solinger Museum eines, das es dir mitunter schwer macht, das Portemonnaie geschlossen zu halten.
Die Carloway Mill auf der schottischen Isle of Lewis
Die Äußeren Hebriden sind eine Inselkette etwa 60 Kilometer vor Schottlands Nordwestküste. Du kannst dir vielleicht bereits anhand dieser Beschreibung vorstellen, wie die dortigen klimatischen Bedingungen aussehen – „rau“ ist die wahrscheinlich beste Umschreibung.
Die größte und nördlichste der Inseln ist die Lewis-and-Harris-Insel. Da sie von einer schroffen Gebirgsformation durchschnitten wird, unterteilt man sie offiziell in eine Nord- und eine Südregion.
Erstere davon ist Lewis. Eine Landschaft geprägt von Hochmooren und jeder Menge Schafzucht. In einer solchen Umgebung entstand eine besondere Form von Tweed-Stoff – Harris Tweed. Keine schnöde Markenbezeichnung, sondern ein gesetzlich geschützter Begriff. Solcher Tweed darf ausschließlich auf den Äußeren Hebriden fabriziert werden.
Insgesamt existieren nur drei Tuchfabriken weltweit, die dieses Produkt herstellen dürfen. Eine davon ist The Carloway Mill. Hier kannst du den ganzen faszinierenden Prozess erleben, bei dem frisch geschorene (natürlich von einheimischen Schafen stammende) Wolle
- gereinigt und gefärbt,
- zu passenden Farbchargen vermengt,
- gesponnen,
- nach genauen Mustern zu Bündeln gemacht und
- weitgehend in Handarbeit versponnen wird.
Weil das ganze so traditionell erfolgt, hat ein Besuch hier weniger den Charakter einer klassischen Werksbesichtigung, sondern fast schon etwas Archaisches.
Du bekommst hier einen in jeder Hinsicht traditionellen Handwerksprozess zu sehen, der sich trotz aller Technisierung über die Jahrhunderte kaum wandelte. Obendrein gilt: Die Insel ist wirklich ein Highlight, wenn du nicht zu den wetterempfindlichen Charakteren gehörst, die Strand automatisch mit Strandwetter verbinden.
Das LVR-Freilichtmuseum in Kommern - NRW
Handwerk hat sich erst in allerjüngster Vergangenheit harmonisiert. Allerdings gibt es bis zum heutigen Tag noch teils erhebliche Unterschiede, wie Handwerker etwas angehen, welche Werkzeuge sie nutzen und wie das Endergebnis aussieht. Früher war das noch viel dramatischer.
Besonders gut lässt sich das bei Gebäuden sehen. Dass beispielsweise ein neu errichtetes Einfamilienhaus in der Eifel praktisch genauso aussieht wie sein Pendant irgendwo in Oberbayern, kam erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf.
Zuvor gab es nicht nur äußerst regionalspezifische Baustile. Teilweise konnte man sogar zwischen Häusern in zwei nahegelegenen Ortschaften Unterschiede festmachen, obwohl sie aus dem gleichen Zeitraum stammten. Mitunter sorgte sogar jeder Handwerker für eine eigene Note.
Leider jedoch hat der Zahn der Zeit solche stilprägenden, einzigartigen Gebäude von der Landkarte verschwinden lassen – oder hinter den Arbeitsergebnissen von umfassenden Sanierungen.
Ein Ort, an dem dieser architektonisch-handwerkliche Pluralismus weiterhin hochgehalten wird, ist das LVR-Freilichtmuseum in Kommern im südlichen Nordrhein-Westfalen. Eine Schatzkiste auf über 100 Hektar Fläche: Seit 1961 hat man hier stilprägende Gebäude aus Deutschland grob westlich von Rhein und Mosel zusammengetragen. Bauten, die meist abgerissen werden sollten.
Um sie zu erhalten, begann der Landschaftsverband Rheinland damit, sie Stück für Stück abzutragen, beschädigte Teile zu reparieren und sie bei Kommern wieder aufzustellen.
Das Ergebnis ist mittlerweile das größte Freilichtmuseum auf dem Kontinent. Knapp 80 historische Bauten gibt es hier zu bestaunen – vom einfachen Bauernhäuschen bis zu Windmühlen und Backhäusern. Zudem gibt es hier ständig wechselnde weitere Ausstellungen rund um rheinische Volkskunde.
Einmal mehr also etwas, für das ein einzelner Besuchstag zu wenig ist. Das gilt selbst dann, wenn du dir „nur“ die herrlichen alten Gebäude mit ihren zahlreichen traditionellen Handwerkstechniken anschauen möchtest.